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Zum Thema Familienrecht
- Dreijähriger Umgangsausschluss: Bindungsintolerante Mutter einer Sechsjährigen erreicht ihr Ziel im Umgang mit dem Kindsvater
- Versorgungsausgleich und Mütterrente: Geschiedener Mann bekommt seine Rente zurück
- Väter durch Leihmutterschaft: Biologische Grenzen der Fortpflanzung sind keine steuerlich absetzbare außergewöhnliche Belastung
- Wunsch auf Ausweitung des Umgangs: Umgangsbegleitung durch Richterin macht Sachverständigengutachten nicht unentbehrlich
- Zustimmungserfordernis ersatzlos entfallen: Vaterschaftsfeststellung nach Tod der Mutter auch ohne DNA-Gutachten möglich
Wenn ein Elternteil seine Kinder gar nicht mehr sehen darf, hat er sich für diesen Umgangsausschluss meist etwas zuschulden kommen lassen. Dass jedoch auch durch massive Bindungsintoleranz des anderen Elternteils und Beeinflussung des Kindes gelingen kann, dass Jugendamt und Gericht einen Umgangsabbruch mittragen, zeigt der Fall des Brandenburgischen Oberlandesgerichts (OLG).
Die Eltern einer Sechsjährigen hatten sich schon vor ihrer Geburt getrennt. Die unregelmäßigen Umgangskontakte waren von elterlichen Konflikten geprägt. Als nach einem gerichtlich vermittelten Vergleich mit zaghaftem Umgang begonnen wurde, zeigte die Mutter den Vater bereits nach dem ersten Termin wegen sexuellen Missbrauchs an, woraufhin das Gericht die Umgangskontakte begleiten ließ. Eine Gutachterin konnte die Aussagen des Kindes zum sexuellen Missbrauch nicht verifizieren und schloss zuvor beeinflussende Suggestivfragen der Mutter zudem nicht aus. Sie stellte eine positive Vater-Tochter-Beziehung und den Wunsch des Kindes nach Vaterkontakt fest. Dem meist vertrauensvollen, unbekümmerten und fröhlichen Kind bescheinigte sie ausreichende Ressourcen, die Auswirkungen des elterlichen Spannungsfelds abzupuffern. Sehr wahrscheinlich werden die Kompetenzen und Ressourcen des Kindes allerdings überschritten, wenn die Eltern ihren Mustern treu blieben.
Ein daraufhin beauftragter Umgangsbegleiter bescheinigte dem Vater einen guten Umgang mit seinem Kind. Nachdem aus unterschiedlichen Gründen von November 2021 bis Sommer 2022 gar keine (begleiteten) Umgänge stattfanden, sollten diese ab August 2022 weitergehen. Das Mädchen zeigte nun eine zunehmende Verweigerungshaltung, so dass das Jugendamt nach einigen vergeblichen Versuchen im Dezember 2022 entschied, keine Umgangsbegleitung mehr anzubieten. Das Mädchen könne sich aufgrund seines Alters nicht ausreichend gegenüber der bindungsintoleranten Mutter abgrenzen und auf einen Umgang mit dem Vater einlassen.
Auch wenn eine Beeinflussung des Kindes durch die Mutter vorliegen sollte, ist ein Umgang gegen die weiter anhaltende ablehnende Haltung des Kindes mit einer erheblichen Gefahr für die weitere Entwicklung verbunden. Durch die Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit kann ein gegen den ernsthaften Widerstand des Kindes erzwungener Umgang unter Umständen mehr Schaden verursachen als Nutzen bringen. Dabei kommt es laut OLG auf eine mögliche Beeinflussung durch die Mutter nicht an, denn mit den bereits sachverständigenseits getroffenen Feststellungen löst das Kind den bestehenden Loyalitätskonflikt für sich mit einer derzeitigen kompletten Ablehnung des Vaters. Zudem wies das OLG darauf hin, dass die vorliegend fehlende Mitwirkungsbereitschaft des Jugendamts durch eine gerichtliche Anordnung nicht überwunden werden kann. Dem Familiengericht steht weder gegenüber dem Jugendamt noch gegenüber freien Jugendhilfeträgern eine Anordnungskompetenz zur Begleitung von Umgängen zu. Auch stelle eine Trennung von der Mutter als Hauptbezugsperson mit der zu erwartenden Traumatisierung eine größere Gefahr für die weitere Entwicklung dar als der vorläufig weiterhin fehlende Kontakt zum Vater. Eine solche Maßnahme wäre daher ungeeignet und unverhältnismäßig und deshalb unzulässig. Aus diesen Gründen bestätigte das OLG einen dreijährigen Umgangsausschluss.
Hinweis: In Brechts Drama "Der kaukasische Kreidekreis" bekommt von zwei streitenden Müttern diejenige das Kind zugesprochen, die aus Mitleid mit dem Kind loslässt und nicht mehr an ihm zerrt. Vor Familiengerichten funktioniert diese salomonische Lösung selten.
Quelle: Brandenburgisches OLG, Beschl. v. 12.10.2023 - 9 UF 115/23
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(aus: Ausgabe 12/2023)
2014 wurde die sogenannte Mütterrente I und 2019 die Mütterrente II eingeführt, mit der Frauen aus Kindererziehungszeiten eigene Rentenpunkte erwerben: 1,0 Entgeltpunkte plus 0,5 je Kind in der gesetzlichen Rentenversicherung. Wie sich diese Rentenpunkte nachträglich auf einen bereits berechneten Versorgungsausgleich auswirken, war Kern des Falls, der bis vor den Bundesgerichtshof (BGH) ging.
Für einen Mann, der 1998 geschieden worden war und beim Versorgungsausgleich Rentenpunkte an die Geschiedene abgegeben hatte, stellte sich nun die Frage, ob der damalige Ausgleich retrospektiv gerecht war. Denn das gemeinsame Kind war während der Ehe geboren worden, und die diesbezüglichen Rentenpunkte waren ja erst durch das neue Gesetz nach der Scheidung gutgeschrieben worden. Dem Mann, der inzwischen in Rente gegangen war, fehlten nun Anteile im Wert von damaligen 311 DM monatlich. Bei der früheren Ehefrau kam davon nichts mehr an, denn diese war inzwischen verstorben. Die "Mütterrente" sollte nun aber der Grund für eine sogenannte Totalrevision des Versorgungsausgleichs sein - der Mann wollte alles nochmal neu ausgerechnet haben. Das ist grundsätzlich denkbar, wenn sich die Entscheidung zum Versorgungsausgleich wegen späterer tatsächlicher oder rechtlicher Änderungen als unrichtig herausstellt.
Der BGH orientierte sich an den sogenannten Wesentlichkeitsgrenzen: mindestens 5 % des bisherigen Ausgleichswerts (relativer Betrag) und 1 % der maßgeblichen monatlichen Bezugsgröße (absolute Bagatellgrenze). Diese Wesentlichkeitsgrenze der Änderung war hier überschritten, denn der Wertunterschied wegen der Mütterrente belief sich bei der Frau auf monatlich 74 DM - das waren fast 50 %. Im Ergebnis wurde der damalige Versorgungsausgleich neu berechnet - und weil die Frau inzwischen verstorben war, bekam der Mann seine Rente im Wert von monatlich 311 DM zurück.
Hinweis: Die Mütterrente wirkt sich erheblich aus, wenn die Mutter in den ersten 30 Lebensmonaten des Kindes keine versicherungspflichtigen Einkünfte hatte. Für solche Altfälle lohnt sich die Überlegung, ob man den Versorgungsausgleich deshalb neu berechnen oder rückgängig machen kann. Dabei darf der Rechtsbeistand nicht zaudern, denn die Neuberechnung wirkt sich erst ab Antragstellung bei Gericht aus, nicht rückwirkend.
Quelle: BGH, Beschl. v. 23.08.2023 - XII ZB 202/22
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Zwei Männer, die seit 2017 verheiratet sind, haben im selben Jahr über eine Leihmutter in den USA ein Kind bekommen, das bei ihnen in Deutschland lebt. Die erheblichen Kosten, die rund um die Zeugung des Kindes entstanden waren, wollten die Männer als außergewöhnliche Belastung bei der Einkommensteuer absetzen (§ 33 Abs. 1 Einkommensteuergesetz). Da das Finanzamt die Kosten nicht anerkannte, ging die Sache bis vor den Bundesfinanzhof (BFH).
Nach deutschem Recht war die Vorgehensweise wegen des Embryonenschutzgesetzes verboten - mit dieser Begründung verweigerte das Finanzamt, die Kosten anzuerkennen. Die Männer argumentierten, dass die Aufwendungen denen entsprechen, die jemand bei Vorliegen einer Erkrankung hat, sie seien schließlich ungewollt kinderlos geblieben. Die Zeugungs- oder Empfängisunfähigkeit gilt nach der Defintion der WHO als Erkrankung. Hinzu komme, dass der starke unerfüllte Kinderwunsch eine Depression ausgelöst habe, die mit der Zeugung des Kindes behandelt worden sei.
Den Argumenten der Männer stimmte der BFH nicht zu: Die ungewollte Kinderlosigkeit der Kläger gründe nicht auf einem regelwidrigen körperlichen Zustand eines oder beider Partner, sondern auf den biologischen Gegebenheiten. Die Vorstellung, die Reproduktion eines Kindes im Wege der Ersatzmutterschaft sei als eine medizinisch indizierte Heilbehandlung zu betrachten, sei nicht mit dem Grundrecht des Kindes auf Unantastbarkeit der Menschenwürde vereinbar. Denn ein solches Verständnis würde das Kind zu einem bloßen Objekt herabwürdigen, das zur Linderung einer seelischen Krankheit des Mannes diente. Der Entschluss, eine Ersatzmutterschaft zu begründen, beruhte auch nicht auf einer rechtlichen, tatsächlichen oder sittlichen Zwangslage, sondern auf der freiwilligen Entscheidung, ein Kind zu haben. Hinzu kam dann noch der schon vom Finanzamt genannte Grund, dass die den Aufwendungen zugrundeliegenden Maßnahmen nicht mit der deutschen Rechtsordnung im Einklang standen.
Hinweis: Aufwendungen eines gleichgeschlechtlichen (Ehe-)Paars im Zusammenhang mit einer Ersatzmutterschaft sind nicht als außergewöhnliche Belastung steuerlich zu berücksichtigen. Kosten, die der Heilbehandlung ungewollter Kinderlosigkeit dienen, sind hingegen als absetzbare Ausgaben anerkannt.
Quelle: BFH, Urt. v. 10.08.2023 - VI R 29/21
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(aus: Ausgabe 12/2023)
In Umgangsstreitigkeiten muss das Familiengericht alle Erkenntnismöglichkeiten ausschöpfen, bevor es entscheidet. Ob eine Familienrichterin bei aller Erfahrung aber auch geeignet ist, ihr Urteil auf eigene subjektive Erfahrung zu stützen, ohne in der Angelegenheit auf die Expertise von Sachverständigen zurückzugreifen, musste das Oberlandesgericht Hamm (OLG) entscheiden.
Den im Jahr 2008 geborenen schwerstbehinderten Sohn wollte der Vater alle 14 Tage am Wochenende in seiner Wohnung betreuen. Die Mutter meinte, der Vater könne dies nicht so gut wie sie und werde dem Kind deshalb schaden. Ein Gutachter beobachtete den Vater-Sohn-Kontakt, äußerste sich zu verschiedenen pflegerischen Fragen, aber nicht zum Kindeswohl - das lag außerhalb seiner Profession. Die Familienrichterin telefonierte daraufhin mit der Kinderärztin und begleitete höchstpersönlich einen Umgangskontakt zwischen Vater und Sohn. Mit dem Kind konnte sie dabei nicht kommunizieren. Anschließend bewilligte sie dem Vater auch die Übernachtungskontakte.
Mit ihrer Beschwerde beim OLG hatte die Mutter zumindest vorläufig Erfolg, denn die Akte wurde wegen Verfahrensfehlern zurück in die erste Instanz gegeben. Die Richterin hätte die angestrebte Ausweitung des Umgangs mit einem Sachverständigengutachten eines Kinder- und Jugendpsychologen prüfen lassen müssen statt durch eigene Ermittlungen. Das vorliegende Sachverständigengutachten gebe nämlich zum Kindeswohl beim Umgang nichts her, weil der Arzt sich nur zu den behinderungsbedingten und pflegerischen Fragen geäußert habe. Bei der Frage, ob die angestrebten Umgangskontakte mit dem Kindeswohl vereinbar sind, sei aber zusätzlich zu prüfen, wie sich die pflegerische Versorgung durch den Kindesvater auf den Sohn sowohl psychisch als auch gesundheitlich auswirke. Die telefonisch kontaktierte Kinderärztin verfüge nicht über die notwendige psychologisch-psychiatrische Qualifikation, das zu beurteilen. Und auch die Beobachtung des Umgangskontakts durch die Richterin könne die sachverständige Klärung nicht ersetzen.
Hinweis: Der Einschätzung von Sachverständigen kommt in Gerichtsverfahren hohe Bedeutung zu, weil die Richter ihre eigene Einschätzung nicht wichtiger nehmen dürfen als die Bewertung durch Fachleute. Hausbesuche und Umgangsbegleitung von Familienrichtern sind deshalb eine absolute Ausnahme - in diesem besonderen Fall sollten sie womöglich die Anhörung des Kindes ersetzen.
Quelle: OLG Hamm, Beschl. v. 17.10.2023 - 4 UF 89/23
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Auch wenn das Abstammungsrecht grundsätzlich darauf abzielt, die biologische Abstammung abzubilden, räumt das Gesetz der "biologischen Wahrheit" bei der Abstammung keinen unbedingten Vorrang ein, wenn die sozialen Beziehungen so sind, dass die Beteiligten das Bedürfnis der rechtlichen Bindung zueinander haben. Was aber, wenn die Mutter schon verstorben ist und daher nicht mehr zustimmen kann, um einem Mann den Wunsch zur rechtlichen Vaterschaft zu erfüllen? Ein Fall, der bis zum Bundesgerichtshof (BGH) ging, gibt Antwort.
Ein Mann wollte im Jahr 2021 eine bereits 58 Jahre alte Frau als seine Tochter anerkennen. Er gab die entsprechende Erklärung beim Notar ab, die 58-Jährige stimmte zu. Das Standesamt verweigerte aber die Eintragung und forderte eine gerichtliche Vaterschaftsfeststellung mit Abstammungsgutachten. Auch zwei Gerichtsinstanzen fanden es wichtig, dass in einem solchen Fall die biologisch-genetische Abstammung tatsächlich geprüft werde.
Nicht der BGH: Durch den Tod der Mutter sei das Zustimmungserfordernis ersatzlos entfallen. Wenn das Kind zustimme - ab über 14 Jahren selbst, zuvor durch seinen gesetzlichen Vertreter -, genüge das. Bis zum Kindschaftsrechtsreformgesetz 1998 war die Zustimmung der Mutter ohnehin gar nicht vorgesehen. Das Verfahren lief früher allein zwischen dem Vater und dem Jugendamt ab. Durch die Einführung des § 1595 Abs. 1 Bürgerliches Gesetzbuch wollte der Reformgesetzgeber die Rechtsstellung der Mutter bei der Anerkennung der Vaterschaft stärken, indem er ihr ein eigenes Zustimmungsrecht einräumte. Man hatte erkannt, dass es der Mutter nicht ganz gleichgültig sein dürfte, wer rechtlicher Vater ihres Kindes ist. Stirbt diese jedoch vor der Entscheidung einer solchen Frage, erlischt auch das Zustimmungserfordernis.
Hinweis: Dass die biologische Wahrheit nicht wichtiger ist als die sozialen Beziehungen, ergibt sich auch daraus, dass ein Samenspender nicht rechtlicher Vater werden kann, wenn ein anderer Mann sozialer Vater des Kindes geworden ist und deshalb auch rechtlicher Vater sein möchte.
Quelle: BGH, Beschl. v. 30.08.2023 - XII ZB 48/23
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Zum Thema Mietrecht
- Die eingeworfenen Schlüssel: Verjährungsfrist startet mit Erhalten der Verfügungsmacht über Mietsache
- Mieterhöhung laut Mietspiegel: Zuschläge für Einfamilienhäuser gelten auch für Doppelhaushälften
- Notwegerecht durchgesetzt: Anrecht auf ordnungsgemäße Wegenutzung ohne hinderliche Pflanzsteine
- Rechtsbindungswille bei Schlüsseltausch: Ohne Verwahrungsvertrag kein Schadensersatz nach Austausch von Türschloss
- Untervermietung der Einzimmerwohnung: Korrekte Teilüberlassung, sobald Mieter den Gewahrsam am Wohnraum nicht gänzlich aufgibt
Manche Beziehungen möchte man so schnell wie möglich beenden und hinter sich lassen. Ob es aber ratsam ist, für die Rückgabe einer Mietwohnung die Schlüssel einfach in den Briefkasten des Vermieters zu werfen, musste das Oberlandesgericht Hamm (OLG) klären. Der Vermieter war ganz anderer Ansicht und forderte nach dieser formlosen Beendigung des Mietverhältniss eine hohe Summe Geld.
Die Mieterin hatte eine Halle nebst Lagerbüro sowie außenliegende Stellplätze angemietet. Dann erklärte sie am 10.03.2020 die Kündigung zum nächstmöglichen Zeitpunkt - ihrer Ansicht nach der 17.06.2020. Am 18.03.2020 wies der Vermieter allerdings darauf hin, dass das Mietverhältnis durch die Kündigung erst zum 30.04.2021 enden würde. Bis zum 31.12.2020 nutzte die Mieterin das Mietobjekt weiter und warf an diesem Tag die Schlüssel in den Briefkasten des Vermieters. Der wies dieses zum einen zurück und forderte die Mieterin zum anderen auf, verursachte Schäden bis spätestens zum 19.06.2021 zu beseitigen. Schließlich forderte er nach Ablauf der Frist die Zahlung von über 47.000 EUR für Miete und Schadensersatz. Die Mieterin meinte daraufhin, die Schadensersatzansprüche seien verjährt, da sie binnen sechs Monaten nach Rückerhalt der Mietsache gerichtlich geltend zu machen sind.
Zumindest bezüglich der Schadensersatzansprüche sah dies das OLG genauso. Die Verjährung war spätestens am 08.01.2021 in Gang gesetzt worden. Erhält der Vermieter den Besitz an dem Mietobjekt durch Einwurf der Schlüssel in seinen Briefkasten zurück und behält er diese Schlüssel dann, beginnt die kurze Verjährungsfrist von sechs Monaten mit Kenntnis des Vermieters von dem Schlüsseleinwurf auch dann zu laufen, wenn das Mietverhältnis noch nicht beendet und der Vermieter nicht rücknahmebereit ist.
Hinweis: Die Berechnung der Verjährungsfrist ist für Vermieter ganz wichtig. Denn die Frist beträgt lediglich sechs Monate für Schäden am Mietobjekt. Die Frist beginnt also, wie dieser Fall zeigt, mit Erhalten der Verfügungsmacht über die Mietsache. Und das ist offensichtlich dann gegeben, wenn der Vermieter die Schlüssel bekommt - ob er will oder nicht.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 01.09.2023 - 30 U 195/22
zum Thema: | Mietrecht |
(aus: Ausgabe 12/2023)
Im folgenden Fall war die entscheidende Frage, ob Einfamilienhäuser und Doppelhaushälften mehr miteinander verbindet oder mehr voneinander unterscheidet. Der Mieter einer Doppelhaushälfte und sein Vermieter waren da unterschiedlicher Meinung, so dass man sich vor dem Amtsgericht Hanau (AG) wiederfand.
Ausgangspunkt war das Mieterhöhungsbegehren für eine angemietete Doppelhaushälfte. Der Vermieter verlangte unter Bezugnahme auf den Mietspiegel eine Zustimmung zur Erhöhung der monatlichen Nettokaltmiete inklusive einem Zuschlag von 25 %, der laut Mietspiegel auf Einfamilienhäuser entfällt. Der Mieter verweigerte die Zustimmung und meinte, der Zuschlag würde bei einer Doppelhaushälfte keine Anwendung finden, da er nur für freistehende Einfamilienhäuser gelte. Schließlich forderte der Vermieter die Zustimmung zur Mieterhöhung gerichtlich ein - und gewann den Rechtsstreit.
Entgegen der Meinung des beklagten Mieters war das AG nämlich nicht der Meinung, dass ein Einfamilienhaus zwingend freistehend sein muss, um als solches zu gelten. Weist der Mietspiegel im Rahmen der Bestimmung der ortsüblichen Miete einen Zuschlag für Einfamilienhäuser aus (hier: 25 %), gilt dieser auch für Doppelhaushälften. Denn da es im Mietspiegel keinerlei Angaben zu nichtfreistehenden Einfamilienhäusern gibt, wären Doppelhaushälften (und Reihenhäuser) vom ihm gar nicht erfasst. Dies widerspricht dem Sinn eines Mietspiegels. Zudem sind die Wohnvorteile in einer Doppelhaushälfte mit denen in einem freistehenden Einfamilienhaus gleichzusetzen: kein Treppenhausverkehr von Nachbarn und Besuchern, ein höherer Gebrauchswert durch üblicherweise vorhandene Grundstücks- bzw. Gartennutzung. Dass die Freiheiten als Mieter eines freistehenden Einfamilienhauses dennoch größer seien, was Lärm oder Geruchsbelästigungen angeht, ließ das AG ebenfalls nicht gelten. Die gemeinsamen Vorteile der Einfamilienhausformen - beispielsweise das Fehlen einer in Mehrparteienanlagen üblichen Hausordnung - wiegen einfach mehr. Und wenn man, wie das Gericht, in Sachen Lärm- und Geruchsentwicklung davon ausgeht, dass die nachbarrechtlichen Rücksichtnahmepflichten stets Anwendung finden, kann hinter dieser Argumentation auch kein qualitativer Mehrwert gesehen werden.
Hinweis: Eine Mieterhöhung ist für Vermieter kein Buch mit sieben Siegeln. Es kann jedoch auch über etwas anderes nachgedacht werden: die einvernehmliche Mieterhöhung zwischen Mieter und Vermieter. Das ist häufig ein guter Gedanke. Zwar erhält der Vermieter vielleicht etwas weniger Miete, als ihm gesetzlich zustehen würde, er hat allerdings auch keine Streitigkeiten und Schwierigkeiten mit seinem Mieter.
Quelle: AG Hanau, Urt. v. 07.07.2023 - 34 C 126/22
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Wird der einzige Weg zu einem Grundstück versperrt, ist ein Rechtsstreit vorprogrammiert. Denn egal, wobei man sich im Recht fühlt - entscheiden können dies nur die Gerichte, wie hier das Landgericht Lübeck (LG). An dieses wandte sich der Kläger gegen seine sich ebenfalls im Recht fühlende Nachbarin, nachdem diese ihm den Zugang zu seiner Parzelle verwehrte.
Dabei handelte es sich um eine Gartenparzelle als sogenanntes Inselgrundstück ohne eigene Zuwegung, das über einen Wirtschaftsweg begehbar war, dessen Ausgang auf einem fremden Grundstück verlief. Die Eigentümerin des Grundstücks, auf dem der entsprechende Wirtschaftsweg verlief, versperrte dann den Zugang mit Pflanzsteinen über die gesamte Breite des Wegs. Das wollte sich der Eigentümer der Gartenparzelle nicht bieten lassen und klagte. Er war der Ansicht, für ihn bestehe ein Notwegerecht zur Nutzung des Wegs. Die Eigentümerin des Grundstücks mit dem Weg behauptete dagegen, das Gartengrundstück würde durch den Kläger ohnehin nur genutzt, um dort Alkohol zu konsumieren.
Das LG hat die Eigentümerin dazu verurteilt, die Pflanzsteine von dem Wirtschaftsweg zu entfernen. Durch die aufgestellten Pflanzsteine wurde der Mann an seinem Notwegerecht beeinträchtigt. Ein Notwegerecht berechtigt zur ordnungsgemäßen Benutzung des Grundstücks. Dies richtet sich nach Lage, Größe und Wirtschaftsart. Gedeckt hiervon ist auch das Begehen des Notwegs mit einer Schubkarre zur Gartenbewirtschaftung, auch wenn diese beladen ist.
Hinweis: Die Durchsetzung des eigenen Rechts durch das Schaffen von Fakten ist keine gute Idee. In einem Rechtstaat führt das meist zu einem strafbaren Verhalten. Denn für die Durchsetzung des Rechts sind die Gerichte da.
Quelle: LG Lübeck, Urt. v. 18.08.2023 - 3 O 309/22
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Blumen gießen, Post ablegen, Katze füttern - noch viele Gründe mehr sprechen dafür, vertrauenswürdigen Nachbarn für den Urlaubs- oder Notfall einen Wohnungsschlüssel zu überlassen. Was aber passiert in Fällen, in denen eben jener einst so vertrauenswürdige Mensch die Rückgabe des Schlüssels verweigert? Der Fall des Amtsgerichts München (AG) gibt Antwort.
Zwei Brüder waren Nachbarn und hatten für Notfälle Haustürschlüssel ausgetauscht. Und wie es zwischen Familienmitgliedern vorkommen kann, kam es zum Streit zwischen den beiden. Kurz vor Weihnachten forderte der eine den anderen Bruder bereits zum zweiten Mal zur Rückgabe der Schlüssel auf. Andernfalls würde er das Schloss austauschen und ihm die Kosten hierfür in Rechnung stellen. Im April wurde dann tatsächlich das Schloss ausgetauscht, Mitte Juni erhielt der Bruder vom anderen den Schlüssel zurück. Ihm sei eine frühere Rückgabe unter anderem aufgrund von Krankenhausaufenthalten nicht möglich gewesen. Die Kosten für den Austausch des Schlosses von knapp 700 EUR sollte er trotzdem erstatten - deshalb wurde geklagt.
Das AG wies die Klage jedoch ab. Die gegenseitige Aufbewahrung des Schlüssels war eine reine Gefälligkeit ohne Rechtsbindungswillen. Deshalb hatten die beiden Brüder auch keinen Verwahrungsvertrag geschlossen. Ohne den Abschluss eines entsprechenden Vertrags gibt es in der Folge auch keinen Schadensersatz.
Hinweis: Mieter und Eigentümer sollten sich gut überlegen, wem sie einen Schlüssel der Wohnung oder des Hauses für den Notfall übergeben. Es sollte stets klargestellt werden, dass der Schlüssel nicht ohne ausdrückliches Einverständnis benutzt werden darf.
Quelle: AG München, Urt. v. 19.07.2023 - 222 C 14447/23
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Mieter dürfen in aller Regel untervermieten, nachdem sie ihren Vermieter um eine entsprechende Genehmigung gebeten haben. Eine Untervermietung einer Einzimmerwohnung erscheint auf den ersten Blick zwar unsinnig, was auch der beklagte Vermieter in diesem Fall so sah. Der Bundesgerichtshof (BGH) warf jedoch einen Blick mehr auf die Details des mieterseitigen Ansinnens und befand in der Folge, dass ein solches unter ganz bestimmten Voraussetzungen durchaus nachvollziehbar sein kann.
Ein Mieter hatte eine Einzimmerwohnung gemietet. Dann bat er seine Vermieter wegen eines beruflichen Auslandsaufenthalts um die Gestattung der Untervermietung für rund anderthalb Jahre. Er benannte auch die bestimmte Person, die als Untermieter einziehen sollte. Die Vermieter lehnten die Bitte jedoch ab, und der Mieter erhob eine Klage auf Erlaubnis der Untervermietung eines Teils der Wohnung. Er trug vor, er wolle für die Dauer seiner berufsbedingten Abwesenheit einen Teil der Wohnung an die benannte Person untervermieten, jedoch persönliche Gegenstände weiterhin in der Wohnung lagern. Tatsächlich blieben persönliche Gegenstände in einem Schrank und einer Kommode sowie in einem am Ende des Flurs gelegenen und durch einen Vorhang abgetrennten Bereich. Außerdem bliebe der Mieter im Besitz eines Wohnungsschlüssels. Deshalb gewann er die Klage.
Ein Anspruch des Mieters auf Gestattung der Gebrauchsüberlassung an einen Dritten kann auch im Fall einer Einzimmerwohnung gegeben sein. Die Vorschrift stelle in Augen des BGH weder quantitative Vorgaben hinsichtlich des beim Mieter verbleibenden Anteils des Wohnraums noch qualitative Anforderungen zu dessen weiterer Nutzung durch den Mieter auf. Von einer Überlassung eines Teils des Wohnraums an einen Dritten ist daher regelmäßig bereits dann auszugehen, wenn der Mieter den Gewahrsam an dem Wohnraum nicht vollständig aufgibt, wie hier geschehen.
Hinweis: Mieter sollten vor einer Untervermietung stets den Vermieter um Zustimmung bitten. In aller Regel wird der Vermieter dagegen nichts einwenden können.
Quelle: BGH, Urt. v. 13.09.2023 - VIII ZR 109/22
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Zum Thema Sonstiges
- Angstgefühl allein unzureichend: Kein Schadensersatz nach Facebook-Scraping ohne Darlegung konkret-individueller Betroffenheit
- Anzeigenschaltung reicht nicht: Werbung mit Bekanntheits-Angabe darf sich nur auf redaktionelle Berichterstattung beziehen
- Gesamtkontext entscheidet: Wann "Dame vom Escortservice" nicht als Beleidigung aufgefasst werden sollte
- Onlinecasino aus Malta: Anbieter muss nach Verstoß gegen Glückspielstaatsvertrag Verluste zurückerstatten
- Schadensersatz nach Diebstahl: Kliniken haben besondere Obhutspflicht für persönliche Habe von Patienten
Bei einem sogenannten Scraping werden Daten von Websites automatisiert ausgelesen. Ein solches Auslesen kann sowohl autorisiert als auch rechtswidrig erfolgen. Im Fall des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) verklagte eine Facebooknutzerin den Meta-Konzern nach einer unautorisierten Auslesung ihrer Daten auf Schadensersatz. Doch ob und wie der erlittene Schaden zu bewerten war, ist fraglich.
Im April 2021 veröffentlichten Unbekannte die Daten von etwa 500 Millionen Facebooknutzern im Darknet, darunter Namen und Telefonnummern. Die Daten hatten die Unbekannten zuvor über einen längeren Zeitraum zunächst unter Ausnutzung der seinerzeitigen Suchfunktionen von Facebook gesammelt. Auch wenn die Anzeige der eigenen Telefonnummer bei Facebook nicht aktiviert war, war es über die Suchfunktion möglich, einen Nutzer über eine eingegebene Telefonnummer zu identifizieren. Dies nutzen die Unbekannten aus, indem sie millionenfach Telefonnummern mit dem Computer generierten und hierzu Daten abriefen. Facebook deaktivierte die Suchfunktion für Telefonnummern im April 2018. Wegen dieses Datenlecks wurden zahlreiche Klagen gegen Meta als Betreiberin der Plattform eingereicht. Auch die Frau dieses Verfahrens war betroffen. In dem im Darknet veröffentlichten Datensatz fanden sich ihre Mobiltelefonnummer, ihr Vor- und Nachname sowie die Angabe ihres Geschlechts. Deshalb verlangte sie mindestens 1.000 EUR Schmerzensgeld.
Das OLG hat die Klage auf Zahlung von Schadensersatz nach der Datenschutz-Grundverordnung abgewiesen. Nach dem Urteil lagen zwar eindeutige Verstöße gegen datenschutzrechtliche Vorschriften vor, einen immateriellen Schaden konnte die Frau jedoch nicht ausreichend darlegen. Der zu einer Vielzahl an ähnlich gelagerten Verfahren identische, pauschale Vortrag, die "Klägerpartei" habe Gefühle eines Kontrollverlusts, eines Beobachtetwerdens und einer Hilflosigkeit - insgesamt also das Gefühl der Angst - entwickelt und Aufwand an Zeit und Mühe gehabt, reichte zur Darlegung einer konkret-individuellen Betroffenheit nicht aus.
Hinweis: Das OLG hat mit diesem Urteil eine Leitentscheidung für eine Vielzahl anderer Verfahren getroffen. Andere Kläger müssen nun darstellen, welchen Schaden sie materiell und/oder immateriell erlitten haben.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 15.08.2023 - 7 U 19/23
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2023)
Werbeanzeigen werden von Medien strikt getrennt von redaktionellen Inhalten behandelt. So kann sich ein Verlag nicht vorwerfen lassen, gute Anzeigenkunden mit redaktionellen Inhalten zu bauchpinseln. Im Folgenden musste das Oberlandesgericht Hamburg (OLG) genau diesen Trennstrich bei der Wahrnehmung ziehen. Denn hier nutzte ein Unternehmen seine Anzeigenaktivitäten für eine "bekannt aus ...!"-Aussage, die redaktionelle Berichterstattungen der genannten Medien nahelegte.
Die Firma bot auf ihrer Internetseite die Vermittlung von Immobilienverkäufern an Immobilienmakler an. Die Firma hatte auf ihrer Website geworben mit dem Hinweis "Bekannt aus: Die Welt, ONLINE FOCUS, Frankfurter Allgemeine, N24, Der Tagesspiegel", ohne dazu Fundstellen anzugeben oder zu verlinken. Ein Wettbewerbsverband sah die Werbung der Firma als unlauter an. Schließlich verklagte der Wettbewerbsverband die Firma auf Unterlassung.
Die Meinung des Verbands teilte das OLG. Denn wirbt ein Unternehmen mit seiner Bekanntheit aus namentlich genannten und bekannten Medien, geht der Verbraucher natürlich auch davon aus, dass die Bekanntheit aus einer redaktionellen Berichterstattung resultiert - nicht jedoch aus in den Medien geschalteter Werbung.
Hinweis: Auch in der Werbung darf nicht ohne weiteres gelogen oder übertrieben werden - hierbei steht der Schutz der Verbraucher im Vordergrund.
Quelle: OLG Hamburg, Urt. v. 21.09.2023 - 15 U 108/22
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Was Satire darf und was nicht, ist seit geraumer Zeit eine breit diskutierte Frage, die nicht final beantwortet werden kann. Mit einer möglichen Beantwortung sah sich das Oberlandesgericht Dresden (OLG) durch die Klage einer Frau beauftragt, die sich durch einen veröffentlichten Artikel verunglimpft sah. Und da es wie immer auf den Einzelfall ankommt - was einer allgemeingültigen Beantwortung eben auch entgegensteht -, spielt der gesamte Kontext hier die entscheidende Rolle.
Eine Rechtsanwältin hatte einen Mann in einer Verkehrssache vertreten. Über diese Verhandlung veröffentlichte der Mann einen Artikel. Die Rechtsanwältin meinte nun, durch verschiedene Äußerungen im Artikel schwerwiegend in ihrem Persönlichkeitsrecht und ihrer Würde als Organ der Rechtspflege verletzt worden zu sein. Sie verlangte eine Geldentschädigung in Höhe von mindestens 10.000 EUR. Das Geld erhielt sie allerdings nicht - es lag keine Persönlichkeitsrechtsverletzung vor.
Das OLG wertete den Artikel als satirisch angelegte Glosse über eine Gerichtsverhandlung. Der Mann hatte etwas von gängigen Klischees über die Justiz geschrieben, wie "Treppen und Flure wie aus Soko Leipzig" und "Tatort", "Vergitterte Fenster" und "wartete die Zeit, die der Amtsschimmel durchtraben musste". Und in exakt diesen Kontext reihte sich die ebenfalls klischeehafte Beschreibung der Rechtsanwältin ein, der ein "filmreifer Auftritt" bescheinigt wurde, bei dem sie mit "Gesetzen und Paragrafen abrufbereit angefüllt" gewesen sei. Auch beim Vergleich des Erscheinungsbilds der Rechtsanwältin im Gerichtssaal mit dem Auftreten einer "Dame vom Escortservice" handelte es sich nicht etwa um die Behauptung, die Rechtsanwältin selbst übe einen solchen Beruf aus oder biete sexuelle Dienstleistungen an. Vielmehr handelte es sich hierbei erkennbar um Satire.
Hinweis: Auch bei der Satire gibt es natürlich Grenzen, die nicht überschritten werden dürfen. Eine solche Grenzüberschreitung lag in diesem Fall noch nicht vor.
Quelle: OLG Dresden, Urt. v. 04.09.2023 - 4 U 1126/23
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(aus: Ausgabe 12/2023)
Manchmal hat man Glück, und das Gesetz ist ganz plötzlich die Rettung aus einer selbstverursachten Misere - so wie im folgenden Fall für eine dem Glücksspiel etwas zu stark zugetane Frau vor dem Landgericht Koblenz (LG). Und das Glück, das sie vergeblich online suchte, war ihr im "real life" nun vor Gericht in Form von 632.250 EUR hold.
In den Jahren 2015 bis 2020 verlor die Spielerin das Geld in einem Online-Casino eines führenden Onlineglücksspielanbieters aus Malta. Und für Malta verfügte der Anbieter auch über die erforderliche Glücksspiellizenz der zuständigen Glücksspielbehörde. Über eine entsprechende Glücksspiellizenz für Deutschland oder für das Bundesland Rheinland-Pfalz, in dem die Frau wohnt, verfügte der Anbieter jedoch nicht. Genau deshalb meinte die Spielerin nun, einen Rückzahlungsanspruch für die 632.250 EUR zu haben, denn zu der Zeit, in der sie gespielt hatte, gab es ein gesetzliches Verbot von Onlineglücksspielen. Und da sie davon erst im Jahr 2022 erfahren habe, seien die möglichen Rückzahlungsansprüche nicht verjährt. Schließlich klagte sie und bekam vor dem LG Recht.
Der zwischen den Parteien geschlossene Onlineglücksspielvertrag verstieß im streitgegenständlichen Zeitraum tatsächlich gegen ein gesetzliches Verbot und war daher nichtig. Zwar wurde der Glückspielstaatsvertrag im Jahr 2021 neu geregelt und es besteht nunmehr die Möglichkeit, eine Erlaubnis für öffentliche Glückspiele im Internet zu erhalten. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Frage des Gesetzesverstoßes war vorliegend aber der Zeitpunkt der Vornahme des Rechtsgeschäfts, so dass es auf die Frage einer etwaigen späteren Legalisierung des Angebots nicht ankam.
Hinweis: Wer spielt, kann auch verlieren. Das gilt erst recht für die Teilnahme am Glücksspiel. Spannend wäre es zu erfahren, ob im Umkehrschluss das Onlinecasino auch Gewinne von Spielern wegen unwirksamer Verträge zurückfordern kann.
Quelle: LG Koblenz, Urt. v. 24.07.2023 - 1 O 224/22
zum Thema: | Sonstiges |
(aus: Ausgabe 12/2023)
Wer als Notfall ins Krankenhaus kommt, kann häufig nicht mehr auf seine persönlichen Gegenstände aufpassen. Wer in solchen Fällen dafür zuständig ist, dass im Optimalfall Patienten und deren persönliche Habe wohlbehalten wieder aus den Kliniken herauskommen, musste im folgenden Fall das Oberlandesgericht Hamm (OLG) klären.
Eine 95-Jährige hatte in Begleitung ihrer Haushaltshilfe wegen Atembeschwerden ihre Hausärztin aufgesucht. Nachdem ihr Blutdruck gemessen und ein EKG geschrieben worden war, wurde sie auf Veranlassung der Ärztin mit einem Rettungswagen in die Notaufnahme eines Klinikums verbracht. Bei ihrer dortigen Aufnahme war die Klägerin zumindest mit Leibwäsche, einem Wollpullover, einer Stoffhose und Lederschuhen bekleidet. Im weiteren Verlauf wurde sie liegend zu einer Röntgenuntersuchung, anschließend wieder zurück in die Notaufnahme und von dort aus nach Abschluss der Untersuchungen auf die Station verbracht. Mehrere mit einem Namensaufkleber der Frau versehene Tüten für Patienteneigentum, die zu einem nicht näher aufklärbaren Zeitpunkt der Untersuchungen existierten und deren Inhalt zwischen den Parteien streitig blieb, haben dies leider nicht geschafft. Sie blieben verschollen. Einen Tag später schlossen die Parteien dann einen schriftlichen Behandlungsvertrag, der auch eine Haftungsbeschränkung für Sachen beinhaltete. Trotzdem verlangte die Frau Schadensersatz für die Kleidung und Gegenstände, die abhandengekommen waren. Es handelte sich um eine Brille mit einem Zeitwert von 1.400 EUR und Hörgeräte mit einem Zeitwert von 2.799 EUR. Als die Klinik das Geld nicht ersetzen wollte, klagte die Patientin.
Hätte die Klinik besser bezahlt - denn vom OLG erhielt die alte Dame insgesamt 5.106 EUR zugesprochen. Es bestand eine besondere Obhutspflicht der Klinik für die persönliche Habe der Patienten. Die Klinik hat bei einer Notaufnahme die erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen zu treffen, um die persönlichen Gegenstände der Patienten zu sichern.
Hinweis: Krankenhäuser müssen dringend überlegen, wie sie in Zeiten starker Personalknappheit künftig ihrer besonderen Obhutspflicht nachkommen können.
Quelle: OLG Hamm, Urt. v. 21.07.2023 - 26 U 4/23
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